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KRITIS Gesundheit und Ernährung - Vorläufige Ergebnisse

Das Projekt DESKRIS („Definition von Schutzzielen und -niveaus Kritischer Infrastrukturen in Deutschland: Forschungsstand, Rechtlicher Rahmen und politische Entscheidungsfindung“) wird vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) gefördert. Das Ziel des Projekts besteht darin, den aktuellen Stand der Schutzzieldebatte aufzuarbeiten und auf dieser Grundlage Akteure aus Bevölkerungsschutz, Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in partizipativen Prozessen zusammen zu bringen und deren unterschiedliche Interessen zu erfassen. Die Leitung des Projekts DESKRIS (Laufzeit: 01.01.2018 – 30.09.2019) übernehmen im Namen der AG Interdisziplinäre Sicherheitsforschung Prof. Lars Gerhold und Roman Peperhove.

Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der FU Berlin, Jennifer Hartmann und Agnetha Schuchardt, setzen sich zu Beginn des Projekts vor allem mit der Frage auseinander, welche Vorteile Schutzziele bieten.

Warum brauchen wir Schutzziele?

Seit ungefähr 15 Jahren wird der Schutz Kritischer Infrastrukturen mit dem Begriff der Schutzziele in Verbindung gebracht. Schutzziele legen fest, welcher Zustand bzw. welches Versorgungsniveau während einer Krise aufrechterhalten oder danach wiederhergestellt werden soll (Wienand et al. 2017). Sie beziehen sich auf materielle oder immaterielle Schutzgüter (z. B. die Gesundheit der Menschen) und beschreiben deren – teilweise abstrakten – Idealzustand (Mayer und Lauwe 2015).

Durch Schutzziele soll die Minimalversorgung der Bevölkerung in Krisen sichergestellt werden. Befürworter versprechen sich von ihnen eine Orientierung, da für die Entwicklung von Notfallplänen und Maßnahmen ein übergeordnetes Ziel notwendig ist. Durch gemeinsam vereinbarte Schutzziele soll sichergestellt werden, dass aufeinander abgestimmte Maßnahmen umgesetzt werden und die involvierten Akteure trotz unterschiedlicher Interessen an einem Strang ziehen. Expert_innen aus Wissenschaft und Praxis fordern seit Beginn des Jahrtausends vermehrt eine zielgerichtete Debatte über Schutzziele sowie deren systematische Festlegung, um dem Anspruch an einen flächendeckenden Grundschutz der Bevölkerung gerecht zu werden (Schöttler 2000; DKKV e. V. 2004; Hess 2011; Fekete 2012). Jedoch ist die Festlegung von Schutzzielen ein undurchsichtiger Prozess, dem kein strukturiertes Verfahren zugrunde liegt.

Rechtliche Rahmenbedingungen

Ganz allgemein lässt sich ein Bedeutungszuwachs rechtlich relevanter Schutzziele beobachten, der mit der sogenannten Krise des regulativen Rechts einhergeht. In komplexen Regulierungsbereichen (wie dem Schutz Kritischer Infrastrukturen) wird die bis dato Input-Steuerung, welche durch detaillierte Vorgaben gekennzeichnet ist, zunehmend durch eine Output-Steuerung ergänzt oder sogar ersetzt. In einer Output-Steuerung werden lediglich die Wirkungen, die durch Maßnahmen erzielt werden sollen, beschrieben, um im Einzelfall bedürfnisgerechte Entscheidungen treffen zu können. Schutzziele verfolgen dasselbe Prinzip, da sie ein Mindestmaß an Sicherheit beschreiben, ohne konkret zu sagen, wie dies erreicht werden sollte. Verschiedene Maßnahmen sind möglich, um ein und dasselbe Schutzziel zu erreichen. Insbesondere die Festlegung von Mindestanforderungen ist für den Bereich Ernährung relevant, da hier Schutzziele vor allem für die Absicherung von Verteilungs- oder Produktionsstrukturen fehlen, während schon einige Standards für die Qualität der Lebensmittel (hygienische Bedingungen usw.) existieren. Im Gesundheitssektor ist es hingegen so, dass bereits einige Anforderungen an die Bevorratung von Medikamenten bestehen, diese jedoch in vielen Fällen nicht eingehalten werden (können).

Online-Umfrage

Im Januar und Februar 2019 führte die FU Berlin online eine Expert_innenbefragung durch. Es nahmen Personen aus den Bereichen Sicherheit, Gesundheit und Ernährung teil. Die Antworten von 273 Befragten wurden in die Auswertung einbezogen (im Sinne einer Qualitätskontrolle wurden Personen mit weniger als drei Jahren Berufserfahrung aus dem Datensatz ausgeschlossen).

164 Teilnehmende (60 %) arbeiteten in Behörden und Ministerien (davon 123 in Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben wie bspw. Hilfsorganisationen), 63 in der Forschung (23 %), 36 in Unternehmen (13 %) und 10 fielenunter Sonstiges. Die Teilnehmenden erachteten Schutzziele mehrheitlich als notwendig und sinnvoll. Diese positive Einstellung und der Wunsch nach weiteren Schutzzielen erstreckt sich über die unterschiedlichen Berufsfelder und hängt nicht von der Berufserfahrung ab.

Die Betreiber Kritischer Infrastrukturen sind i. d. R. Unternehmen und spielen für den KRITIS Schutz eine zentrale Rolle. Die Einstellung der Befragten gegenüber den privatwirtschaftlichen KRITIS Betreibern ist insgesamt eher negativ. Ihnen wird ein Desinteresse am Schutz der Bevölkerung zugeschrieben. Die KRITS-Betreiber zeichneten sich jedoch durch eine positivere Selbsteinschätzung aus und gaben an, sich sehr wohl für den Schutz der Bevölkerung verpflichtet zu fühlen. Die herrscht eine Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung.

Als eine große Hürde in der Festlegung und weiteren Verbreitung von Schutzzielen sind die Kosten zu benennen, die durch die Umsetzung von Schutzzielen entstehen. Laut den Befragten sollen diese nicht allein vom Staat übernommen werden müssen. Diejenigen, die selbst in einem Unternehmen arbeiteten, vertraten am stärksten die Meinung, dass die Kosten über die Produktpreise an die Verbraucher_innen weitergeben werden sollten.
Auch die Rolle der Wissenschaft war Bestandteil der Befragung. Die Notwendigkeit der Wissenschaft Beiträge zu leisten wurde vor allem am Anfang (Einschätzung potenzieller Gefahren auf Basis empirischer Daten) sowie am Ende (Evaluation anhand wissenschaftlicher Methoden) der Schutzzielfestlegung gesehen.

Verfahrensanleitung zur Festlegung von Schutzzielen

Die Aushandlung von Schutzzielen stellt ein Zusammenspiel von zahlreichen unterschiedlichen Akteuren dar. Sie verläuft in den meisten Fällen nicht linear. Es gibt kein universelles Verständnis des Schutzzielbegriffs im Kontext des KRITIS-Schutzes. Vor allem die Formulierung von unspezifischen, strategischen Schutzzielen (z. B. „Wiederinbetriebnahme der Telekommunikationsnetze“) kann für die Ableitung von Maßnahmen herausfordernd sein, insbesondere wenn keine Grenzwerte zur Orientierung vorliegen. Unklar bleibt in solchen Fällen auch, welche Akteure konkret verantwortlich sind.

Um diese Herausforderungen anzugehen, entwickelte das Projektteam auf Basis einer Literaturrecherche, eines Expertenworkshops, einer Online-Expertenbefragung sowie zweier politischer Diskussionsrunden eine Verfahrensanleitung, die den Aushandlungsprozess in idealtypische Phasen unterteilt. Sie umfasst die folgenden Phasen, die je nach Kontext angepasst werden müssen:

  • Vorplanung / Themensetzung (Initiierung des Aushandlungsprozesses, Identifizierung und Einbindung der relevanten Akteure),
  • Formulierung (Wissenschaftliche Grundlage schaffen, Ressourcenallokation, Festlegung des Schutzziels, Aushandlung eines Schwellenwertes),
  • Planung (Maßnahmenplanung, Finanzierung),
  • Umsetzung (Implementierung, Evaluation und Monitoring).

Der Verlauf des Aushandlungsprozesses ist abhängig von der betroffenen Kritischen Infrastruktur, dem Schutzgut sowie den beteiligten Akteuren und ihren Interessen. Für die Phasen müssen für den jeweiligen Kontext (also die jeweilige Bedrohung oder ein potenzielles Schutzdefizit) Entsprechungen gefunden werden.Schutzgüter können hierbei KRITIS-Einrichtungen, die Umwelt, die Volkswirtschaft oder auch immaterielle Werte wie z. B. den Schutz von Kulturgütern oder den Vertrauenserhalt in den Staat betreffen.

Ausblick


Das Projekt endete am 30.09.2019. Die FU Berlin wird im Anschluss die unterschiedlichen Ergebnisse zueinander in Bezug setzen und auf dieser Basis Handlungsempfehlungen entwickeln. Die finalen Projektergebnisse aller Partner werden in einem Abschlussbericht veröffentlicht.